Versammlungen in Zeiten von Corona. Ein Debattenbeitrag von Albrecht Pallas
Gestern haben wir im Plenum des Sächsischen Landtags über die pandemiebedingten Einschränkungen beim Versammlungsrecht diskutiert. Beantragt hat die Sondersitzung die AfD-Landtagsfraktion. Als innenpolitischer Sprecher meiner Fraktion bin ich dazu in die Debatte gegangen.
Fest steht für mich und meine Fraktion, dass das Versammlungsrecht nicht das einzige hohe Gut und Grundrecht ist, welches der Staat zu schützen hat. Und die Einschränkungen des Versammlungsrechts aktuell notwendig sind, denn die Infektionszahlen sind in Sachsen weiterhin hoch und die Lage in den Krankenhäusern ist angespannt.
Zugleich ist zu befürchten, dass die Infektionszahlen durch die Omikron-Mutante rasant steigen werden. Um die Menschen in Sachsen zu schützen, müssen daher noch immer Kontakte reduziert werden. Versammlungen bedeuten viele Kontakte. Für die SPD hat das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit Vorrang.
Doch es ist völlig klar: wenn die pandemische Lage es zulässt, wird gelockert. Übrigens auch deshalb, weil dann Bürgerinnen und Bürger wieder gegen Verschwörungsideologien und rechte Scharfmacher demonstrieren können, was sie aktuell nicht tun: Denn die halten sich an die Regeln. Sie wollen das Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit anderer Menschen schützen.
Dennoch kann man natürlich – ja muss man immer wieder – über die Ausgestaltung der Einschränkungen streiten, abwägen und diskutieren. Zum Beispiel ist die Frage über die zulässige Teilnehmer:innenzahl immer eine Abwägungsfrage. Jede Zahl bedeutet eine Einschränkung. Willkür ist das nicht, weil es sachliche Gründe gibt – auch wenn nicht alle diese Gründe gut finden mögen.
Über Änderungen beim Versammlungsrecht berät die Regierung derzeit mit Blick auf die nächste Coronaschutz-Verordnung, hierbei müssen die Ergebnisse der Bund-Länder-Beratungen am Freitag abgewartet werden. Auch der Sächsische Landtag berät die Regierung bei dieser Abwägung.
Es ist eine Tatsache, dass die Meinungs- und Versammlungsfreiheit auch in der Pandemie in Sachsen gilt und gelebt wird. Immer mehr Bürgerinnen und Bürger zeigen ihre Meinungsfreiheit kreativ in der Öffentlichkeit: etwa bei der Aktion „Haltung zeigen” in Dresden oder in den vielen Offenen Briefen.
Ihnen gilt mein herzlicher Dank: Denen, die sich gerade impfen lassen, die sich an die Regeln halten, obwohl sie natürlich dennoch wütend, genervt und getroffen sind. Das bedeutet Verantwortung übernehmen, auch wenn sie schwer wiegt.
Wir haben keine Spaltung in Deutschland, wie das so gerne auch in manchen Medien oder auf Twitter geschrieben wird. Ich glaube, Bundeskanzler Olaf Scholz trifft hier den richtigen Punkt: Wir haben viele Konflikte, ja, natürlich. Viele haben Kritik. Was können wir nach zwei Jahren Pandemie und Herausforderungen für jeden Teil unseres Lebens erwarten?
Doch unterm Strich: Unser Land steht zusammen. Zusammen gegen Corona. Es gibt lautstarke Gruppen: die sind polarisiert. Aber nicht die Gesamtbevölkerung. Die eigentlichen Massendemonstrationen sind die Warteschlangen vor Impfzentren und in Arztpraxen.
Doch es gibt auch diejenigen, die die Spaltung wollen. Die wollen polarisieren. Weil sie von dieser Polarisierung leben. Gäbe es das Thema Corona nicht, würden sie ein anderes Thema instrumentalisieren. Wenn Olaf Scholz sagt: „Lasst uns zusammen bleiben.” Dann wollen diese Personen und Gruppen das gar nicht.
Mit Vorwürfen, wie bei der Bundesrepublik handele es sich um eine Diktatur, die von finsteren Mächten gesteuert werden, verlässt man den demokratischen Konsens. Das machen sie sehr bewusst. Oder sie schweigen sehr bewusst dazu.
Doch viele werden auch zunehmend selbst zu Getriebenen. Der Schauspieler und Kabarettist Uwe Steimle, der lange auch gegen das Impfen geschimpft hatte, wurde selbst dann wüst beschimpft, weil er sich impfen ließ. Das tat er, nachdem mehrere seiner Bekannten gestorben waren. Ich würde zu gerne wissen, wie viele sich selbst geheim impfen haben lassen, ohne es öffentlich zuzugeben.
Laut Presseberichterstattung hatte der AfD-Bundesvorsitzende Tino Chrupalla zunächst verhindert, die rechtsextremen „Freien Sachsen“ auf die Unvereinbarkeitsliste der AfD zu setzen. Jene „Freien Sachsen”, organisiert von einem NeoNazi-Kader aus dem Westen und einem rechtsextremen Anwalt. Nach breiter und öffentlicher Kritik daran, hat die AfD am gestrigen Tag ihre Meinung dazu wohl geändert. Die AfD scheint Angst vor dieser Konkurrenz zu haben und muss auch deshalb noch immer eine Schippe drauflegen. Fakt ist: Die AfD, hat in der Corona-Krise erneut gezeigt, welches Geistes Kind sie ist.
Wir haben in den letzten Wochen und Monaten anhand der antidemokratischen Hetze der Gewaltphantasien und der organisierte Macht gesehen: Die größte Gefahr für unsere innere Sicherheit kommt von der extremen Rechten. Diese ist nicht nur radikalisiert, sondern gefährlich.
Soziale Netzwerke werden teilweise Plattformen für Bedrohungs- und Tötungsphantasien. Offen und sichtbar für jeden und jede, der oder die möchte. Zuletzt noch der sächsische Ministerpräsident, die Staatsministerin Petra Köpping oder andere politische Mandatsträger:innen. Aber auch Polizistinnen und Mitarbeiter:innen beim Roten Kreuz.
Der Kern des Antrags der AfD gestern im Landtag war daher auch nicht die Sicherung von Grundrechten. Der Kern dieses Antrags ist ein Angriff auf das Vertrauen in unsere Demokratie. Und die sogenannten Coronaproteste und deren Teilnehmer:innen sind dazu nur Mittel zum Zweck.
Allerdings müssen wir schon darüber reden, wie wir das Vertrauen in die demokratischen Institutionen wieder erhöhen können: Denn es gibt aus meiner Sicht vier Gruppen, wenn wir über Nicht-Geimpfte reden.
1) Die extreme Rechte, die jede Gelegenheit nutzt, um die Demokratie zu destabilisieren und die seit 1990 in Sachsen besonders stark ist. Mehr dazu hier
2) Jene, die sich noch nie impfen ließen, selbst in der DDR nicht, aus welchen Gründen auch immer. Wenn nur diese kleine Gruppe sich nicht impfen ließe, wäre das auch verkraftbar.
3) Die sich nicht impfen können.
4) Die Bürgerinnen und Bürger, die den Institutionen und dem Handeln des Staates misstrauen.
Dieses Misstrauen gegen unsere Demokratie und ihre Institutionen ist seit Jahrzehnten gewachsen, und nicht erst seit Corona.
1) Durch die Verwerfungen der Nachwendezeit, wie sie Petra Köpping angesprochen hat.
2) Durch das Kaputtsparen sozialer und gesellschaftlicher Strukturen.
3) Durch das Schlechtreden von staatlichem Handeln und der Prämisse: „Jede und jeder sei seines Glückes Schmied“.
4) Dass der Staat viele gerade Arbeitslose und prekäre Beschäftigte allein mit Misstrauen entgegentrat. Und viele den Eindruck hatten, für mich macht der Staat nichts, aber für alle anderen schon.
5) Das zu lange eine mangelnde Anerkennung der alltäglichen Probleme durch die Politik bestand, z.B. dass der Lohn nicht zum Leben reicht. Mehr Informationen
Die Spaltungen im Schatten der Pandemie haben diese Probleme bestimmt nicht kleiner gemacht. Darüber müssen wir reden. Es geht also nicht nur darum, der Hetze der extremen Rechten gegen die Demokratie zu widersprechen.
Es geht auch darum, das Vertrauen zu stärken. Auch deshalb lehnen wir Kürzungen im Sozialen ab, im Gegenteil: Wir brauchen Investitionen in die Infrastruktur. Und deshalb müssen wir mehr Respekt für Menschen mit kleinen Einkommen in den Mittelpunkt stellen, wie durch die Einführung des Mindestlohns von 12 Euro.
Das alles ist nicht „Spaß und Spiel”. Das sind nicht einfach Wohltaten. Es geht hier um eine grundsätzliche Stärkung des Vertrauens in unsere Institutionen.
Ihr Albrecht Pallas